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Canetti

Elias Canetti über den Erwerb der deutschen Sprache:

„Nicht sehr lange nach unserer Ankunft gingen wir in eine Buchhandlung, sie fragte nach einer englisch-deutschen Grammatik, nahm das erste Buch, das man ihr gab, führte mich sofort nach Hause zurück und begann mit ihrem Unterricht. […] Sie las mir einen Satz Deutsch vor und ließ mich ihn wiederholen. Da ihr meine Aussprache missfiel, wiederholte ich ihn ein paar Mal, bis er ihr erträglich schien. Das geschah aber nicht oft, denn sie verhöhnte mich für meine Aussprache, und da ich um nichts in der Welt ihren Hohn ertrug, gab ich mir Mühe und sprach es bald richtig. Dann erst sagte sie mir, was der Satz auf Englisch bedeute. Das aber wiederholte sie nie, das musste ich mir sofort ein für allemal merken. […] Sie entließ mich, sagte: “Wiederhole dir das für dich. Morgen machen wir weiter.” Sie behielt das Buch, und ich war ratlos mir selber überlassen. […] Wenn sie besonders ungeduldig wurde, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und rief: “Ich habe einen Idioten zum Sohn!” […] oder “Dein Vater hat doch auch deutsch gekonnt, was würde dein Vater dazu sagen!” […] Sie achtete nicht darauf, dass ich vor Kummer wenig aß. Den Terror, in dem ich lebte, hielt sie für pädagogisch.”

(Elias Canetti: Die gerettete Zunge)

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